Die hier als Dateien abrufbaren Aufnahmen sind MP3-Versionen der beim Digitalisieren erzeugten 32-bit-WAV-Dateien. Gespeichert wurde zunächst eine ungefilterte Roh-Version der Überspielung mit einem für Schellackplatten entwickelten Magnet-Tonabnehmer Ortofon OM-78.
Die „Nadeln“ zum Abspielen
Für das Abspielen von 4-min-Walzen und von Lioret-Celluloidwalzen kam die zum Ortofon OM-78 gehörige Diamantnadel in unveränderter Form zum Einsatz, denn sie hat die zu diesen Formaten passende Breite und Verrundung der Spitze.
Für das Abspielen von 2-min-Wachswalzen, deren Rillenbreite bei ungefähr 0,25 mm liegt, mussten wir die zu verwendenden Abtastspitzen aus hartem Borosilikatglas selbst herstellen und auf den Nadelträger des Tonabnehmerystems montieren. Die unterschiedlichen zur Anwendung kommenden Abtaster haben Durchmesser zwischen 0,20 und 0,15 mm und eine halbkugelförmige Verrundung der Spitze. Die deutlich unterkalibrigen Maße der Spitze ermöglichen es den Abtastern, auch bei Beschädigungen der Rille, bei Gussfehlern oder sonstigen Verformungen bis zum Rillenboden vorzudringen, wo die akustische Information meistens besser erhalten ist als an den Flanken. Zudem wird dadurch die Flankenreibung reduziert, sodass weniger Oberflächengeräusche entstehen. Wichtig ist die Verwendung von Abtastern mit geringem Durchmesser auch für das Abspielen von sehr lauten Passagen. Wegen des runden Querschnitts der für die phonographischen Aufnahmen verwendeten Aufnahmestichel wird die Rille umso breiter, je tiefer der Stichel in das Wachs einschneidet. Die Auf- und Abbewegung der phonographischen Tiefenschrift geht daher immer auch mit einer symmetrischen Seitenauslenkung einher. Bei Übersteuerungen greift die seitliche Auslenkung einer Rille auf die benachbarten Spuren über und engt deren Breite ein. An solchen Stellen, die bei Gusswalzen häufig vorkommen, liefert ein unterkalibriger Abtaster die besten Ergebnisse, da er auch hier noch bis auf den Boden der Rille vordringen kann und die von der Nachbarrille verformte Flanke kaum berührt.
Auflagegewicht des Tonabnehmers
Das Auflagegewicht der von uns verwendeten Tonabnehmer liegt zumeist etwa zwischen 1,5 g und 3,5 g. Zum Vergleich: Die verbreitetste Schalldose für 2-min-Gusswalzen, Edisons Model C, hat ein Auflagegewicht von ca. 32 g. Und die winzige Diamantspitze einer Edison Diamond-B-Schalldose belastet die Rille eines Blue-Amberol-Zylinders mit noch größerem Gewicht.
Nachbearbeiten des digitalen Signals
Beim Abhören der Rohdateien stellt man fest, dass viele Aufnahmen schon ziemlich natürlich klingen, aber viel stärker rauschen und rumpeln als beim Abspielen auf einem originalen, mechanischen Phonographen. Die Störgeräusche setzen sich zu einem großen Teil aus Frequenzen zusammen, die außerhalb des Empfindlichkeitsbereichs einer mechanischen Phonographenschalldose liegen. Sie wurden also nie aufgenommen, werden aber von modernen Tonabnehmern als Störgeräusch erfasst. Solche reinen Störfrequenzen können ohne Schaden für die aufgenommene akustische Information entfernt werden. Die Frage ist jedoch, wo genau die Grenze liegt, an der der Einsatz von Rausch- und Rumpelfiltern zum Eliminieren der Störfrequenzen auch das Nutzsignal beeinträchtigt. Vermessungen des Frequenzganges der Schalldose eines gewöhnlichen Edison-Phonographen durch das Deutsche Rundfunkarchiv haben eine Ansprechbarkeit nur zwischen 100 und 5000 Hz ergeben, mit einer deutlichen Bevorzugung von Schallfrequenzen in der Gegend von 500 bis 1000 Hz. Außerhalb dieser Grenzen sollte ein rigoroses Filtern schadlos möglich sein. Die Hörprobe bestätigt dieses Messergebnis allerdings nicht. Bei besonders klar klingenden Walzen scheint es auch jenseits der 5000 Hz noch ein Nutzsignal zu geben, denn eine Filterung ab 5000 Hz aufwärts mit dem Low-pass-Filter führt zu einem dumpferen Höreindruck als eine Filterung erst deutlich oberhalb dieser Grenze. Als Konsequenz verzichteten wir auf ein zu rigoroses Beschneiden des Frequenzganges und wählten 1600 Hz Sicherheitsabstand zu der vom Deutschen Rundfunkarchiv damals ermittelten Obergrenze der Nutzfrequenz von Gusswalzen. Rigoros gefiltert mit -48 db haben wir erst oberhalb von 6600 Hz und unterhalb von 60 Hz. Bei mechanisch kopierten Weichwachswalzen und den langsamer laufenden Lioret-Zylindern allerdings haben wir die Obergrenze für den Low-pass-Filter auf 6200 Hz ohne hörbare Beeinträchtigung des Nutzsignals herabgesetzt.
Was aber ist mit der verbleibenden akustischen Information zu tun? Hier muss man sich darüber im Klaren sein, was man denn als Endergebnis haben will. Soll es ein Frequenzgang sein, …
- der den Frequenzgang eines mechanischen Phonographen imitiert und damit im Wesentlichen diejenigen Frequenzbereiche verstärkt, die schon bei der ursprünglichen Aufnahme durch das Schwingverhalten der Membran begünstigt worden sind?
- der die medienbedingte Bevorzugung der Frequenzen um 1000 Hz herum dämpft und dafür die nach links und rechts steil abfallenden Flanken der Kurve anhebt, so dass man idealerweise einen linearen Verlauf zwischen 60 und 6600 Hz hat?
- der die nach dem oben beschriebenen Entrauschen / Entrumpeln verbleibende Schallinformation ohne Veränderung der Frequenzcharakteristik gradlinig so weit verstärkt, das sich eine kräftige, aber noch verzerrungsfreie Auslenkung der Lautstärke ergibt?
- der einen nach Hörerfahrung und individuellem Geschmack zu bestimmenden „natürlichen Eindruck‟ anstrebt?
Für alle Möglichkeiten lassen sich gute Argumente finden. Eine Filterung nach Modell 2 aber führt zu einem ziemlich ungenießbaren Ergebnis, vor allem im Hinblick auf die hohen Frequenzen. Von etwa 4000 Hz an aufwärts ist die auf der Walze aufgenommene Schallinformation nur noch sehr schwach. Versucht man diesen Teil der Kurve so weit zu verstärken, dass ihre Amplitude derjenigen der stärksten übrigen Frequenzbereiche entspricht, werden auch die nicht geringen Störgeräusche dieses nun bevorzugten Frequenzbereichs außerordentlich verstärkt. Es entsteht ein starkes und wegen des fehlenden Rauschanteils oberhalb von 6600 Hertz sehr unnatürlich klingendes Rauschen.
Unsere Lösung war Modell 3. Eine solche Behandlung versucht weder, die für den Phonographen typische Charakteristik zu beseitigen, noch einen historischen Wiedergabephonographen zu imitieren. Und sie verändert das Ergebnis auch nicht nach Maßgabe irgendeines persönlichen Geschmacks. Eine gradlinige Verstärkung des von einem modernen und hochwertigen Tonabnehmer ausgelesenen Nutzsignals ist insofern ehrlich, als sie die weitgehend neutrale Wiedergabe einer mit der Charakteristik eines historischen Verfahrens erfolgten Aufnahme mit modernen Mitteln darstellt.
Die beschriebenen Filtervorgänge wurden mit einem Klickfilter und einem Rauschfilter, der das an einer unbespielten Stelle jeder einzelnen Walze gemessene Eigenrauschen herausrechnet, mit moderaten Einstellungen ausgeführt. Danach wurden die tiefsten und höchsten Frequenzen (unterhalb 60 Hz und oberhalb 6600 Hz) mit Hoch- und Tiefpassfiltern radikal beschnitten und das verbleibende Signal verstärkt.
Das verwendete Programm für diese Bearbeitungsvorgänge heißt Audacity – ein nicht-kommerzielles und damit gebührenfreies Audioprogramm – ähnlich wie unsere Webseite.
Bestimmung der richtigen Drehzahl
In den Jahren vor 1902 gab es für die Umdrehungsgeschwindigkeit von Phonographenwalzen keinen allgemeinen Standard. Man legte die Drehzahl nach Maßgabe der wenigen Parameter fest, die das Medium bot: Durch Verringern des Tempos konnte man die Spieldauer verlängern, wogegen eine Erhöhung zu etwas besserer Klangqualität, Lautstärke und Haltbarkeit zu Lasten der Spieldauer führte.
Ziemlich am unteren Ende des Spektrums der Drehzahlen von Zylinderaufnahmen stehen die Celluloidwalzen von Henri Lioret mit zumeist 100 bis 120 U/min. Die Feinheit der Rille und das belastbare Material Celluloid ermöglichten auch mit einer im Vergleich zu anderen Walzen relativ geringen Oberflächengeschwindigkeit eine gute Klangqualität und Lautstärke.
Weichwachswalzen aus den 1890er Jahren bis um 1902 haben zumeist eine leicht darüber liegende Drehzahl, häufig zwischen 120 und 140 U/min.
Mit Einführung des Gussverfahrens zur Massenvervielfältigung um 1902/03 legten sich die marktführenden amerikanischen Produzenten Edison und Columbia und ihre europäischen Filialen auf ein einheitliches Tempo von 160 U/min fest. Die neuen Walzen laufen damit schneller als das Gros ihrer weicheren Vorgänger, was ihre Spieldauer auf maximal knapp 2 ½ Minuten begrenzt, dafür aber eine große Lautstärke und verbesserte Klangqualität bei reduzierter Abnutzung ermöglicht. Mit Übernahme der Gusstechnologie folgten die meisten anderen Walzenhersteller der Vorgabe Edisons und Columbias. Da aber auch die Gusswalzen manchmal nicht mit genau der vorgesehenen Umdrehungsgeschwindigkeit aufgenommen wurden, ist selbst auf ausdrücklich angegebene 160 U/min kein Verlass (ähnliches gilt für die Festlegung der Drehzahl von Schellackplatten auf 78 U/min). Mit einer numerisch-präzisen Festlegung auf diese Drehzahl kann man beim Abspielen also ganz präzise danebenliegen.
Zur Bestimmung der Abspielgeschwindigkeit hilft als entscheidende Instanz nur ein kritisches Gehör. Das richtige Tempo ist dort, wo menschliche Stimmen und Instrumente am natürlichsten und vertrautesten klingen. Eine große Erleichterung für die Bestimmung der Umdrehungszahl ist die zum Glück sehr verbreitete Gewohnheit einer einleitenden Ansage. Ein falsch gewähltes Abspieltempo macht sich schon zu Beginn ziemlich deutlich bemerkbar. Falls von einem Musikstück die Partitur bekannt ist, kann man die Aufnahme auch auf die vorgesehene Tonart einstimmen. Die Einspielung könnte aber auch transponiert worden sein, deswegen gilt in jedem Fall: kritisch hinhören!
Die Umdrehungsgeschwindigkeit aller hier veröffentlichten Aufnahmen wurde nach Gehör bestimmt, wobei die meisten Gusswalzen von Edison, Columbia und Pathé mit 160 U/min abgespielt wurden.