In den europäischen Gesellschaften des 19. und frühen 20. Jahrhunderts hatte das Militär eine große Bedeutung. Die Geschichtsschreibung und das nationale Selbstverständnis waren weitgehend an kriegerischen Ereignissen orientiert. Viele Kriegsveteranen galten als Volkshelden. Uniformen waren sehr verbreitet und das Militärische war im Straßenbild, auch über Straßennamen, allgegenwärtig. In vielen Familien und vor allem in den Schulen galt soldatische Strenge als Ideal für die Erziehung.
Das Militärische durchzog auch das kulturelle Leben. Zu öffentlichen Veranstaltungen gehörten Paraden, Umzüge und Aufmärsche mit schneidigen Ansprachen. Auch das Theater und die verwandten Gattungen Varieté und Revue hatten unzählige inhaltliche und ästhetische Bezüge zum Militär. Dabei, wie auch bei öffentlichen Veranstaltungen, spielte die Marschmusik eine große Rolle. Auch wenn es Trauer- und Hochzeitsmärsche und Märsche als Bestandteil von Opern gibt, so ist doch das Gros der Marschmusik dem Militär gewidmet.
Auch die Nationalhymnen spiegeln das an der militärischen Macht orientierte Selbstbewusstsein im Zeitalter des Nationalismus. Ihr musikalischer Charakter aber ist unterschiedlich. Die Marseillaise beispielsweise ist ein kämpferisches Marschlied, die ungarische Nationalhymne dagegen ein als feierlicher Choral vertontes Gebet. Das deutsche Kaiserreich hatte keine Nationalhymne. Gespielt wurde entweder „Die Wacht am Rhein“, eine Art Marschlied im Dreivierteltakt, oder die deutsche Version der gravitätischen englischen Nationalhymne mit dem Text „Heil Dir im Siegerkranz“.
Marschmusik gehört zu den häufigsten frühen Tonaufnahmen auf Walzen und Platten. Dies ist einerseits eine natürliche Folge der beschriebenen militaristischen Tendenz der Kultur ihrer Entstehungszeit. Daneben aber gab es auch akustisch-technische Gründe, die der Aufnahme von Märschen sehr entgegenkamen: Marschmusik wird zumeist von lauten Instrumenten gespielt, ist klar strukturiert und von relativ kurzer Spieldauer. Dies entspricht genau den Erfordernissen der phonographischen Aufnahme.
Die hier zusammengetragenen Marschmusikaufnahmen sind Einzelkompositionen. Märsche aus Opern und Operetten, wie etwa der Triumphmarsch aus Aida, sind unter der Rubrik „Arien, Ouvertüren und Bearbeitungen aus Opern und Operetten“ zu finden.

Diese Aufnahme wäre auch unter der Rubrik „Chansons …“ richtig untergebracht gewesen, denn es handelt sich um einen gesungenen, patriotischen Marsch. Interpretiert durch eine Solostimme ohne Instrumentalbegleitung geht der Marschcharakter allerdings weitgehend verloren.




Auf dem Etikett ist handschriftlich das Datum 9 / 97 vermerkt.

Auf dem Etikett ist handschriftlich das Datum 12 / 97 vermerkt.



Bei diesem Beispiel ist der für Lioret-Walzen typische abrupte Lautstärkewechsel des Hintergrundgeräuschs deutlich ausgeprägt.
Die Walze stammt aus einer in den 1980er Jahren entdeckten alten Sammlung von rund 300 „Eurêka“-Zylindern, zu der ein nummeriertes Verzeichnis gehörte. Die meisten Exemplare sind mit einer zugehörigen handschriftlichen Nummer auf dem Deckel bezeichnet. Bei manchen Dosen ist der Name des Komponisten und / oder (vermuteten) Interpreten am oberen Rand vermerkt.




Die Walzen dieser Marke wurden vervielfältigt, indem das akustische Signal von einem abspielenden Phonographen durch einen Kautschukschlauch zur Schalldose eines Aufnahmegeräts geleitet wurde. Die trotz des sehr guten Erhaltungszustands mäßige Klangqualität der Walze dürfte auf diese Kopiermethode zurückzuführen sein.
Angaben zur Kopiermethode nach Julien Anton: https://www.phonorama.fr/autres-cylindres-francais.html .


Die Marke IPIR veröffentlichte zum großen Teil Raubkopien anderer Walzenhersteller, vor allem Edisons. Auch dieses Walze ist vermutlich eine Raubkopie, wobei die zugrunde liegende Aufnahme noch herauszufinden wäre.

