Tanzmusik

Eine zwingende Voraussetzung für die Eignung des Phonographen zum Beschallen mit Tanzmusik war eine ausreichende Lautstärke. Immerhin musste die Musik deutlich lauter sein als die beim Tanzen entstehenden Nebengeräusche.

Auf Seiten der Abspielgeräte wurde das Problem mit immer größer werdenden Trichtern und empfindlicheren Schalldosen angegangen. Es gab sogar, produziert von Columbia, zwei Modelle mit mechanischem Verstärker auf der Grundlage des Friktionsprinzips. Diese allerdings waren wegen ihres hohen Preises und Gewichts kein großer Verkaufsschlager.

Auf Seiten der Walzenaufnahmen kamen für das Einspielen von Tanzmusik nur Instrumente mit kräftigem Klang, vor allem Blasinstrumente, Banjo, Xylophon und Schlaginstrumente, zum Einsatz. Sie spielten bei der Aufnahme typischerweise in gleichmäßig hoher Lautstärke.

Auf Weichwachs-Walzen ist Tanzmusik nur ziemlich selten zu finden, da die frühen Phonographen keine großen Lautstärken erzielten und das weiche Material der Walzen an lauten Passagen besonders schnell abnutzte. In größerem Umfang gelangten Tanzmusik-Walzen erst nach Einführung des Hartgussverfahrens in den Handel. Auch die Gusswalzen jedoch nutzen sich an lauten Passagen recht schnell ab.
Im Rahmen des seinerzeit Möglichen konnten nur Celluloidwalzen einigermaßen zufriedenstellende Ergebnisse in Bezug auf Lautstärke, Haltbarkeit und Klangqualität liefern, vor allem die ab 1912 hergestellten Blue-Amberol-Walzen. Bei diesen – und schon bei den seit 1898 gefertigten Eurêka-Walzen Henri Liorets – kam die erhöhte Spieldauer dem Gebrauch zum Tanzen zusätzlich zugute. Jedoch nahm Lioret auch auf seinen älteren, kleineren Walzentypen bereits Tanzmusik auf, gespielt von kleinen Blasorchstern oder sogar, wie das Beispiel Le tour du monde zeigt, von einem Solo-Blasinstrument.

Lioret Lioretgraph Celluloid Phonograph Bläser
Anonymer Instrumentalist: Le tour du monde, valse (Olivier Métra). Piston ohne Begleitung. Lioret No. 3, 4226, 1897.

Als Einspielung eines Walzers handelt sich bei diesem Beispiel eindeutig um eine Aufnahme von Tanzmusik. Bei einer Länge von deutlich weniger als zwei Minuten in Verbindung mit ihrem dünnen Klang darf jedoch wohl bezweifelt werden, dass sich irgendjemand durch das Abspielen dieser Walze zum Tanzen hat animieren lassen.
Unbekannte Bläsergruppe mit Chor: Champagne. Lioret No. 3, 9029, 1897.
Unbekannte Bläsergruppe: La Czarine, Mazurka (Louis Ganne). Lioret No. 4 „Eurêka“, 9099, 1899.

Zu der um 1900 vielfach aufgenommenen „Czarine“ gibt es einen Liedtext, der die damals aktuelle französisch-russische Freundschaft besingt. Damit ist eine um 1890 beginnende diplomatische Annäherung beider Staaten gemeint, die 1894 in einem Militärbündnis mündete. In den Folgejahren kam es zu mehreren Besuchen und Gegenbesuchen des französischen Präsidenten Félix Faure (und später seines Nachfolgers Loubet) und Zar Niklaus II. Der Phonographenhersteller Henri Lioret war in eine dieser Begegnungen persönlich involviert: Bei seinem Besuch der Zarenfamilie in St. Petersburg im August 1897 übergab Präsident Faure den beiden kleinen Zarentöchtern Olga und Tatjana als Gastgeschenk drei Puppen des französischen Herstellers Jumeau. In diese Puppen waren von Lioret konstruierte Phonographen eingebaut, mit deren Hilfe sie sprechen oder singen konnten.
Unbekannte Bläsergruppe: Anglais Polka (Launay). Lioret No. 4 „Eurêka, um 1900.

Die Aufnahme ist eine Instrumentalversion der Polka des Englishs, die hier unter den Chansons mit einer Aufnahme von Victor Lejal vertreten ist.
Unbekanntes Blasorchester: La troika, Polka russe (Elsen). Cylindres Artistiques, Weichwachswalze 598, um 1899 / 1900.
Musique de la Garde Républicaine: La Gitana, Valse. Le Cahit-Weichwachswalze ohne Nummer, um 1902.

Dasselbe Exemplar ist abgebildet bei https://www.phonorama.fr/autres-cylindres-francais-p2.html .

London Regimental Band: Tammany Two Step (Edwards). Edison Bell Gold Moulded Record 889, um 1905.
The Waltz dream Waltz
British Concert Orchestra: The Waltz Dream Waltz (Oscar Straus). Edison Gold Moulded Record 13724, um 1905.
Edison Concert Band Orchestra: Champagne Galop (Hans Christian Lumbye). Edison Gold Moulded Record 9378, 1906.

Der Orchesterleiter und Komponist von Tanzmusik und kleinen Orchesterstücken, Hans Christian Lumbye, war langjähriger Leiter des Orchesters im Kopenhagener Vergnügungspark Tivoli. Den Champagnergalopp, ein schneller Tanz im 2/4-Takt, komponierte er 1845 zum zweiten Jahrestag des Tivoli-Bestehens. Die Komposition gibt Lumbyes lebhafte Vorstellung von einer Feier in der britischen Botschaft in Kopenhagen wieder, die er trotz Einladung überhaupt nicht besucht hatte.
Silver Heels
Edison Military Band: Silver Heels (Neil Moret). Edison Gold Moulded Record 9217, 1906.
Edison Military Band: To your health Waltz (J. Fred Helf). Edison Gold Moulded Record 9633, 1907.
Johann-Strauß-Orchester: Gerson und Hulda, Rheinländer. Edison Goldguss Walze 16177, um 1910.

Die deutliche ältere Dose gehört nicht zu dieser Walze.
National Promenade Band: Too much Ginger One-Step (Jos M. Daly). Edison Blue Amberol Record 2435, 1914.
National Promenade Band: Too much Mustard One-Step (Cecil Macklin). Edison Blue Amberol Record 3324, 1914.
National Promenade Band: Meadowbrook Fox Trot. Edison Blue Amberol Record 2489, 1915.
Jaudas‘ Band: Wasatch Fox Trot. Edison Blue Amberol Record 3450, 1918.
Van Eps Banjo Orchestra: The Vamp (Byron Gay). US 4 Minute Everlasting Record 3478, um 1918.

George Hamilton Green mit Orchesterbegleitung: Watermelon Whispers Fox Trot. Edison Blue Amberol Record 3482, 1918.
The All Star Trio: Sensation Jazz One-Step. Edison Blue Amberol Record 3716, 1919.
Harry Raderman’s Jazz Orchestra: Dardanella Fox Trot (Felix Bernard). Edison Blue Amberol Record 3965, 1920.
Lenzberg’s Riverside Orchestra: Karavan Fox Trot (Rudy Wiedoeft). Edison Blue Amberol Record 3983, 1920.
Lopez & Hamilton’s Orchestra: Patches Fox Trot (Lee S. Roberts). Edison Blue Amberol Record 3989, 1920.
Green Brothers‘ Novelty Band: Kismet Fox Trot. Edison Blue Amberol Record 4091, 1920.
Green Brothers‘ Novelty Band: Anytime, Anyday, Anywhere. Edison Blue Amberol Record 4150, 1921.
Orlando’s Orchestra: Humming Fox Trot (Louis Breau, Ray Henderson). Edison Blue Amberol Record 4245, 1921.
Kaplan’s Melodists: You tell her, I stutter (Billy Rose, Cliff Friend). Edison Blue Amberol Record 4736, 1923.
Kaplan’s Melodists: A kiss in the dark Medley Waltz (Victor Herbert). Edison Blue Amberol Record 4769, 1923.
Green Brothers‘ Novelty Band: That’s what God made the Mothers for. Edison Blue Amberol Record 5259, 1923.