Die Jahre um 1900 werden in Frankreich aus gutem Grund als „belle époque‟ bezeichnet. In dieser Zeit war das Land, vor allem natürlich die Hauptstadt, ein kultureller Anziehungspunkt für ganz Europa. Paris, wiederholter Schauplatz von Weltausstellungen, war berühmt für seine Cabarets, Café-concerts, Opernhäuser, Literaten, Künstlerateliers und Salons, seine Bordelle, seine Skandale, die Metro und die Universität, in deren Rahmen gerade erst die Radioaktivität entdeckt worden war. Auch der allgegenwärtige Stil des Art Nouveau trug zu einem Lebensgefühl bei, das noch heute überall beschworen wird und das manche, die dabei alle negativen Aspekte ausblenden, für die gute alte Zeit halten.
Der in Frankreich vor allem mit dem Namen Pathé Frères verbundene Phonograph brachte einiges von dem Lebensgefühl der belle époque in die Tonrille und unters Volk. Uns Heutigen hat die frühe Tonindustrie erfreulicherweise eine ganze Menge von direkten Zeugnissen dieser Ära hinterlassen. Zunächst auf den Walzen von Henri Lioret, dann bei Pathé, Mazo, Dutreih und vielen anderen Herstellern, sind Chansons, Chansonnettes, Mélodies, Romances und Rezitationen, die zum Teil heute noch gesungen und vorgetragen werden, in ihren frühen Versionen überliefert.
Die Angaben zu Erscheinungsjahr und ggf. Katalognummer von Lioret-Walzen beziehen sich auf das früheste Datum, in dem sie in einem Katalog der Firma gelistet sind.
Unbekannte Sprecherin: Le rêve de l’enfant . Walze zum Einsetzen in den ersten von Henri Lioret entwickelten Phonographen, der in sprechende Puppen des Typs Bébé Jumeau eingebaut war. Mit der Aufnahme spricht die Puppe ihre Besitzerin, als die ein kleines Mädchen vorausgesetzt ist, als „petite maman“ an und sagt, sie habe geträumt, der kleine Weihnachtsmann habe ihr eine sehr schöne Bébé Jumeau gebracht, die genauso lacht, spricht und singt, wie das Mädchen. Mit diesem Inhalt ist die Walze eine der frühesten Werbeaufnahmen. Das Etikett ist eine genaue Reproduktion des verlorengegangenen Originals.
Unbekannter Sänger: Un bal à l’hôtel de ville . Tenor ohne Begleitung. Lioret No. 2, 1895.
Unbekannter Sänger ohne Begleitung: Adèle, t’es belle (Louis Guéteville, Hermand Brun). Lioret No. 2, 406, 1896. Diese Aufnahme ist ein sehr frühes Beispiel für eine „chansonnette grivoise” , ein anzügliches Liedchen. Hier wird Adèle besungen, die runde Blonde mit den großen Möpsen („tes gros nichons” ), und der Sänger lädt sie ein, auf dem Rasen Liebe zu machen. Chansons dieser Art waren wenige Jahre später ein fester Bestandteil des Katalogs der Pathé Frères.
Unbekannter Sänger: Les turcos sont de bons enfants . Tenor mit Chor- und Pistonbegleitung. Lioret No. 2, 480, 1896.
Unbekannter Sänger: Frisette Polka , Tenor ohne Begleitung, Lioret No. 2, 434, 1896.
Joseph (außer dem Vornamen ein unbekannter Sänger) ohne Begleitung: (bisher) unbekanntes Gesangsstück. Privataufnahme, datiert auf 1896. Die Aufnahme hat mehrere Mängel: Im ersten Drittel gibt es starke Störgeräusche, die möglicherweise durch blockierende Celluloidspäne während des Aufnahmevorgangs entstanden sind; Mit dem Ende der Walze bricht das Gesangsstück unvollendet ab. Lioret bot seit 1896 seinen Kunden die Möglichkeit an, in seinen Studios eigene Aufnahmen zu machen (Lioret-Katalog 1896, S. 5). Die Angaben auf dem Etikett weichen von denen der Ansage ab.
Unbekannter Sänger: Les gendarmes qui passent (Félicien Vargues). Tenor ohne Begleitung. Lioret No. 3, 2803, 1897.
Unbekannter Sänger: La biche au bois . Tenor, teilweise mit weiterer Stimme. Lioret No. 3, um 1897.
Unbekannter Sänger: La charité (Jean Baptiste Faure). Bariton ohne Begleitung. Lioret No. 3, 2604, 1897.
Unbekannter Sänger: Marchons légèrement (Lucien Delormel, Charles Pourny). Tenor ohne Begleitung. Lioret No. 3, 2864, 1897.
Mlle Duclerc: Tararaboum dié (Henry J. Sayers). Sopran ohne Begleitung. Lioret No. 3 , 2897, 1897.
Unbekannter Sänger: Le clairon (Paul Déroulède). Tenor mit Pistonbegleitung. Lioret No. 3, 2910, 1897.
Unbekannter Sänger: Le moine du commandant (Lucien Delormel). Tenor ohne Begleitung. Lioret No. 3, 2665, 1897.
Unbekannter Sänger ohne Begleitung: La voix des chênes (Gustave Goublier). Lioret No. 3, 2695, 1897.
Unbekannter Sänger ohne Begleitung: La voix des chênes (Gustave Goublier). Lioret No. 3, 2695, um 1898. An den beiden hier aufeinanderfolgenden, sehr unterschiedlichen Aufnahmen des gleichen Titels lässt sich leicht erkennen, dass Lioret das eigene, 1893 patentierte Reproduktionsverfahren für Celluloidwalzen nicht anwendete.
Unbekannter Sänger: Sur le Boul’miche . Gesang ohne Begleitung, gegen Ende weitere Stimmen. Lioret No. 3, 2896, 1897.
Unbekannter Sänger: Le Morvandiau , Tyrolienne (Robert Planquette). Tenor ohne Begleitung mit anschließendem Okarina-Solo. Lioret No. 3, 3006, 1897. Die am Ende dieser Einspielung zu hörende Flötenmelodie ist die möglicherweise älteste Aufnahme einer Okarina.
Unbekannter Sänger ohne Begleitung: Cascarinette, Tyrolienne (Gustave Chaillier, Charles Blondet, Félix Baumaine). Lioret No. 3, um 1897. Die Walze trägt die falsche Titelangabe von Iéna, Tambour, Fanfare.
Unbekannter Sänger: Le chant du départ (Étienne-Nicolas Méhul). Tenor ohne Begleitung. Lioret No. 3, um 1898.
Unbekannte Sänger: Fanfare du Marquis de Chevreux . Gemischte männl. Stimmen mit Bläserbegleitung. Lioret No. 3, um 1898.
Unbekannter Sänger: Les blondes (Harry Fragson). Tenor ohne Begleitung. Lioret No. 3, 1202, um 1898/99.
Unbekannter Rezitator: Fais ce que doit . Lioret No. 3, um 1898.
Unbekannter Sänger: Le biniou. Tenor mit Flügelhornbegleitung. Lioret No. 3, um 1898.
Unbekannter Sänger: Petite brunette aux yeux doux (Paul Delmet). Tenor ohne Begleitung. Lioret No. 3, um 1898/99.
Victor Lejal: Quand on a travaillé (Antonin Louis, Lucien Delormel, Paul Briollet, Ernest Gerny) . Tenor ohne Begleitung. Lioret No. 3, um 1898/99.
Victor Lejal: C’est gentil d’être venu (Lucien Delormel). Gesang ohne Begleitung. Lioret No. 3, 1141, 1899.
Victor Lejal: J’ai que’que chose qui plaît. (Victor Lejal). Gesang ohne Begleitung. Lioret No. 3, um 1899.
Unbekannter Sänger: Pauvres fous (Dieudonné Tagliafico). Bariton mit Bläserbegleitung. Lioret No. 4 „Eurêka“, um 1898/99. Die Walze stammt aus einer in den 1980er Jahren entdeckten alten Sammlung von rund 300 „Eurêka“-Zylindern, zu der ein nummeriertes Verzeichnis gehörte. Die meisten Exemplare sind mit einer zugehörigen handschriftlichen Nummer auf dem Deckel bezeichnet. Bei manchen Dosen ist der Name des Komponisten und / oder (vermuteten) Interpreten am oberen Rand vermerkt.
Victor Lejal: Polka des Englishs (Launay). Gesang mit Bläserbegleitung. Lioret No. 4 „Eurêka“, 1899. Die Walze stammt aus einer in den 1980er Jahren entdeckten alten Sammlung von rund 300 „Eurêka“-Zylindern, zu der ein nummeriertes Verzeichnis gehörte. Die meisten Exemplare sind mit einer zugehörigen handschriftlichen Nummer auf dem Deckel bezeichnet. Bei manchen Dosen ist der Name des Komponisten und / oder (vermuteten) Interpreten am oberen Rand vermerkt.
Unbekannter Sänger: Les Sapins (Pierre Dupont). Bariton ohne Begleitung. Lioret No. 4 „Eurêka” , um 1898/99. Die Walze ist Teil einer Gruppe zusammengehöriger „Eurêka”- Walzen italienischer Herkunft.
Unbekannter Sänger: Alléluia d’amour (Jean-Baptiste Faure). Tenor ohne Begleitung. Lioret No. 4 „Eurêka” , um 1898/99. Die Walze ist Teil einer Gruppe zusammengehöriger „Eurêka”- Walzen italienischer Herkunft.
Unbekannter Sänger: L’anglais entêté (G.-H. Laurain, Léon Garnier, Philipps). Tenor ohne Begleitung. Lioret No. 3, 1197, 1899.
Unbekannter Sänger mit Chor im Refrain und Klavierbegleitung: Funiculì funiculà (Luigi Denza, Peppino Turco). Anonyme Weichwachswalze, verm. Pathé, 419, um 1899. Das weltbekannte napoletanische Lied – hier in französischer Übersetzung – besingt die Standseilbahn zum Vesuv, die um 1880 gebaut wurde und 1944 dem damaligen Vulkanausbruch zum Opfer fiel.
Unbekannter Sänger: La Machtagouine, chansonnette Auvergnate (Éloi Ouvrard). Tenor mit Klavierbegleitung. Pathé-Weichwachswalze 1764, um 1899.
Unbekannter Sänger: La chanson de Marinette (Dieudonné Tagliafico). Bariton mit Klavierbegleitung. Cylindres Artistiques pour Graphophones ohne Nummer, um 1900.
Unbekannter Sänger mit Klavierbegleitung: Instants psychologiques, monologue très grivois (Georges de Nola). Le Kaléo-Weichwachswalze 598, um 1899/1900.
Unbekannter Sänger mit Klavierbegleitung: Après la rupture (Eugène Lemercier). Le Kaléo-Weichwachswalze 4397, um 1899/1900.
Gabin (Ferdinand Joseph Moncorgé): Elle m’a eu . Phonographe Populaire-Weichwachswalze, um 1900. Die abgebildete Dose gehört zu einem Titel aus Mignon .
Unbekannter Sänger mit Klavierbegleitung: L’ombre . Phonographe Populaire-Wecihwachswalze 446, um 1900.
Henri Weber: La Berceuse bleue (Yann Nibor, Gabriel Montoya). Bariton mit Klavierbegleitung. Le Cahit-Weichwachswalze 1265, um 1902. Der Chanson besingt die Geschichte eines Liebespaars, das vor den Eltern verstoßen wird und auf einem zerbrechlichen Schiff in eine glückliche Zukunft fliehen will. Die Flucht endet tragisch: Das Schiff kentert und die Liebenden ertrinken in den blauen Fluten. Der um 1900 populäre Chanson greift das schon seit der Antike geläufige und nach Shakespeare besonders in der Romantik beliebte Motiv der Vereinigung von Liebenden im Tod auf. Durch die gleichförmige Melodie bekommt der Gesang den Charakter einer Moritat.
Léonce Bergeret: La chercheuse de claire de lune, tyrolienne (Théodore Lisbonne). Le Cahit-Gusswalze 1726, um 1903. Chansons tyroliennes mit ihren obligatorischen Jodlern waren um 1900 ein fester Bestandteil des Repertoires der französischen Phonofirmen.
Polin (Pierre Paul Marsalès): L’automobile du Colon (Eugène Rimbault, Raphaël Beretta). Phénix-Weichwachswalze ohne Kat.-Nr., um 1902.
Unbekannte Sopranistin (Odette Dulac?) mit Klavierbegleitung: Naples, Romance (Alfred d’Hack, Paul Bilhaud, Jacques Granay). Pathé-Gusswalze 1031, um 1903.
André Maréchal: La boiteuse (Léopold Langloff). Gesang mit Klavierbegleitung. Pathé-Gusswalze 1270, um 1903.
Yvette Guilbert mit Klavierbegleitung: Je suis pocharde (Yvette Guilbert, Louis Byrec). Pathé Gusswalze 1452, um 1903. Nach Ende des Chansons ist kurz die später hinzugefügte Aufnahme einer gepfiffenen Melodie zu hören. Zur Selbstaufnahme sind Gusswalzen nicht geeignet, weil das harte Material schnell den Aufnahmesaphir ruiniert.
Harry Fragson mit Klavierbegleitung: Amours fragiles (Harry Fragson, Alexandre Trébitsch). Pathé Inter-Gusswalze 3208, um 1903.
Victor Lejal mit Orchesterbegleitung: Le Jemenfichiste . Cylindre Edison moulé sur or 17181, um 1903.
Henri Stamler mit Orchesterbegleitung: La chanson des peupliers (Frédéric Doria). Cylindre Edison moulé sur or 17135, 1904.
Dranem: Le Guide du Jardin des Plantes (Paul Briollet, Gabriel Bunel, Henri Tinant). Cylindre Edison moulé sur Or 17249, um 1904.
Émile Mercadier: Venez ma belle (Jules Darien). Cylindre Edison moulé sur or 17229, 1904.
Émile Mercadier: Ce soir là . Columbia Gusswalze F350/9-2, um 1905.
Unbekannter Sänger (Merglais?) mit Klavierbegleitung: La Paimpolaise (Théodore Botrel). Maison de la Bonne Presse Inter-Gusswalze 701, um 1905.
Henri Weber: Le Crédo du Paysan (Gustave Goublier). Bariton mit Bläserbegleitung. Cylindre Edison moulé sur Or 17018, um 1905.
Magali Muratore mit Klavierbegleitung: L’heure exquise (Herman Bemberg). Cylindre Edison moulé sur Or 17270, um 1905.
Mlle Stelly: La jolie comédie (Harry Fragson?). Sopran mit Bläserbegleitung. Cylindre Edison moulé sur Or 17687, um 1905.
Adolphe Bérard mit Orchesterbegleitung: J’ai peur de la femme . Cylindre Edison moulé sur or 17714, 1906.
Adolphe Bérard mit Orchesterbegleitung: Sérénade à Magali (Will / Trim). Cylindre Edison moulé sur or 17925, um 1906.